Der Liebhaber ist die erste abendfüllende Uraufführung von Marco Goecke in Hannover und sein fünftes abendfüllendes Werk. Das erfolgreichste Buch der französischen Autorin Marguerite Duras (1914 – 1996), in dem sie – zumindest teilweise autobiografisch – von einer Amour fou als Fünfzehnjährige mit einem zwölf Jahre älteren Mann erzählt, fasziniert den Choreografen seit vielen Jahren. Der literarische Stoff ist universell, eine Liebesgeschichte, die die Leser*innen in all ihren Facetten in den Bann schlägt und auf eine Umsetzung im Tanz geradezu wartet.
Indochina zur französischen Kolonialzeit, Saigon, das Exotische, Dunst und Hitze, Regen, überflutetes Land, ein weißes Mädchen mit rosafarbenem Männerhut und Goldschuhen, eine vaterlose Familie in schwierigen Verhältnissen, eine labile Mutter und zwei höchst problematische Brüder. Ein reicher Chinese mit schwarzer Limousine, der Lärm der Stadt, eine leidenschaftliche Begegnung über alle Konventionen hinweg: Eine Liebe, die keine Zukunft hat und dennoch ein ganzes Leben lang währt, obwohl beide sich nach dem Weggang der Erzählerin nach Paris nie wieder gesprochen haben – bis auf ein einziges Telefonat am Ende.
Marco Goeckes völlig eigene Bewegungssprache wirkt trotz ihres Reichtums an unzähligen frenetischen, flatternden und schnellen Bewegungen im Gesamtbild minimalistisch, legt aber im Kern alle menschlichen Gefühle frei. Goeckes choreografische Handschrift geht mit der bildgewaltigen Sprache von Marguerite Duras’ Roman eine emotionale Synthese ein. Obwohl die Vorlage keinem kontinuierlichen Handlungsstrang folgt, trifft sie doch in ihrer minimalistischen Knappheit immer das Innerste der menschlichen Existenz. „Die Idee, ein Ballett aus diesem großen Werk zu machen, hat mich beruhigt und beglückt“, sagt Goecke, der das Buch seit seiner Jugend immer wieder gelesen hat und ein großer Verehrer von Marguerite Duras ist.